22.12.2006 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Profitables Elend

Mikrokredite gelten als Wunderwaffe gegen die Armut in der »Dritten Welt«. Doch oftmals verschärfen sie diese für die Betroffenen nur (Teil I)

Von Sonja Grusch
Friedensnobelpreisträger 2006
Friedensnobelpreisträger 2006
Anfang Dezember wurde mit Muhammad Yunus erstmals ein Bankier mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Yunus ist der Gründer der Grameen-Bank, deren System von »Mikrokrediten« inzwischen weltweit Anerkennung und Nachahmung gefunden hat. Die Grameen-Bank ging 1983 aus einem Pilotprojekt in Bangladesh hervor und hat nach eigenen Angaben bis heute Kredite an 6,6 Millionen Menschen, zumeinst an Frauen (97 Prozent) vergeben. Die Mikrokredite werden heute weltweit von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen und von Menschen mit sehr unterschiedlichem politischen Hintergrund, als ein wesentlicher Ansatz für die Armutsbekämpfung gesehen.

Ein zentrales Argument für Mikrokredite ist, daß Menschen erreicht würden, die zu »normalen« Krediten aufgrund mangelnder Sicherheiten keinen Zugang haben. Jeder habe somit eine Chance, sich aus der Armut zu befreien. Was auch bedeutet: Wer angesichts dieser großartigen Möglichkeiten arm bleibt, ist selbst schuld.

Selbsthife als Ideologie

In der Erklärung des Microcredit Summits von 1997 wurde vermerkt, Mikrokredite wären der Sieg des Pragmatismus über die Ideologie. Richtiger wäre es zu sagen, Mikrokredite sind der Austausch der einen durch eine andere Ideologie. Statt staatlicher Programme und Entwicklungshilfeprojekten wird der Schwerpunkt auf individualisierte Hilfen gelegt. Die Position von Nobelpreisträger Yunus bringt es auf den Punkt. Er tritt vehement gegen Schuldenerlasse für arme Staaten ein, denn »Menschen wachsen durch Herausforderungen, nicht durch Linderungsmittel«.

Anhänger der Mikrokredite betonen gerne, daß diese jenseits aller Ideologie trotzdem den Armen helfen, quasi eine Win-Win-Aktion sind, von der sowohl Banken und Unternehmen als auch die Armen profitieren. Die Realität sieht allerdings anders aus. Zwar gibt es keine umfassenden Studien über die Wirkung von Mikrokrediten (warum eigentlich nicht?) aber eine Reihe von Untersuchungen und Beispielen für die negativen Auswirkungen.

Mikrokredite haben in der Regel sehr hohe Zinsen, die Grameen-Bank verlangt beispielsweise 20 bis 40 Prozent pro Jahr. Diese Werte sind zwar niedriger, als bei lokalen, privaten Geldverleihern, aber höher als größere Kredite z.B. bei den staatlichen Banken. Begründet werden die hohen Zinsen mit dem enormen administrativen Aufwand für die Kundenbetreuung.

Weg in die Verschuldung

Vielfach wird mit Krediten der Umstieg von der Selbstversorgerlandwirtschaft in den Dienstleistungssektor gefördert. Dieser Umstieg birgt für die Kreditnehmer enorme Risiken, da mit dem Verlust der eigenen Ernährungsgrundlage stetige Geldeinkünfte nötig sind, um überhaupt noch etwas zu essen zu haben. Da diese Dienstleistungen, wie z.B. Verkaufsshops, oft in einem Umfeld aufgebaut werden, wo ein Großteil der ehemals bäuerlichen Gemeinschaften bitterarm oder verschuldet ist, entsteht kaum ein funktionierender Markt.

Viele Kredite werden für unmittelbare Ausgaben in Notsituationen wie Mißernten, Tod eines Angehörigen etc. benötigt. Das Geld wird also nicht investiv verwendet und generiert keine künftigen Einnahmen, dafür aber eine hohe Verschuldung.

Kredite für Kleinbauern werden oft an den Anbau bestimmter, meist für den Export bestimmter Produkte oder an langfristige Kaufverträge für bestimmtes Saatgut, welches nicht reproduzierfähig ist, gebunden. Auch auf diesem Weg wird die in Ländern wie Indien und Bangladesh weitverbreitete Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln gefährdet oder gar unmöglich gemacht.

Mikrokredite gibt es nicht für die Ärmsten der Armen. Durch die Auswahlkriterien, die eine gewisse »Kreditwürdigkeit« ergeben müssen (also die Chance, daß der Kredit auch zurückgezahlt werden kann), bleiben all jene, die zum Beispiel nicht oder nur sehr eingeschränkt arbeitsfähig sind, als Kreditnehmer ausgeschlossen.

Eine der wichtigsten »Sicherheiten«, auf die bei der Kreditvergabe geachtet wird, ist das soziale Druckpotential. Säumige Kreditnehmer werden in ihren Gemeinschaften oftmals geächtet. Ihnen wird die Schuld daran gegeben, daß andere Dorfbewohner keine Kredite mehr erhalten. Dokumentiert sind etliche Fälle von Selbstmorden von zahlungsunfähigen Mikroschuldnern oder auch Kindesverkäufen zur Schuldentilgung.

Als positiv vermerkt wird oft, daß die Kredite fast ausschließlich an Frauen vergeben werden. Auf ihnen lastet dann allerdings auch die Rückzahlung, während sich die Ehemänner, nachdem das Geld ausgegeben ist, ihren finanziellen Pflichten nicht selten durch Flucht in Städte entziehen, ohne die Familie weiter zu unterstützen. Viele Frauen sind so durch Mikrokredite in eine ausweglose Schuldenfalle geraten.

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